„Ein wunderschöner Mord“ – die Leiche eines Mannes liegt auf dem Parkplatz der Burg Frankenstein. Der Mann ist tot, eine „einfache Sache“, weil der Kopf ab ist. So erzählt Prof. Bratzke von einem seiner ersten „Fälle“ in seiner über 40 Jahre währenden Berufslaufbahn als Rechtsmediziner. „Ich bin nicht Quincy“ stellt er fest und macht klar, dass die medizinische Erkenntnis über die Tötung (nicht „Mord“) im Fokus steht und nicht die Ermittlung von Tätern oder die Schuldfeststellung. Doch mit einem Knochenfund beim Pilzesuchen fängt es häufig an: Mensch oder Tier?
Im Rahmen der Vortragsreihe „Starke Vorbilder - Starke Kinder“ hat der ehemalige Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Professor Dr. Hansjürgen Bratzke, den Schülerinnen und Schülern der Klassenstufe K0, K+ und K1 bis K2 sowie Lehrern und Gästen einen „Blick hinter die Kulissen“ seiner Arbeit gewährt.
„CSI und die Wirklichkeit - Einblicke in die Arbeit eines Rechtsmediziners“ - schnell macht Prof. Bratzke den Zuhörern klar, dass seine Tätigkeit und wie diese von TV-Serien und Hollywood gesehen wird, wenig miteinander zu tun haben. Die Realität kommt eben nicht so gut an wie „abgefahrener Unsinn“ der Marke „CSI“. Prof. Braztke spricht von der harten Kärrnerarbeit, die er und seine Kollegen zu leisten haben. Man ist 24 Stunden im Dienst. Man wird mit Fällen konfrontiert wie „Hund nagt Schädel von verstorbener Frau ab, die schon länger tot in ihrer Wohnung liegt“.
Das Berufsbild ist vielfältig. Es reicht von Medizin über die Juristerei bis zur Kriminologie und deren Geschichte. Vielfältig sind auch die Bereiche von Forschung und Lehre am Institut für Rechtsmedizin: Toxikologie, Histologie, Schuldfähigkeit, Klinik, Prosektur (Leichenkeller) usw.
Anhand zahlreicher und plastischer Beispiele erläutert Prof. Bratzke die vielfältigen Aufgabenbereiche, die auch praktisches Experimentieren erfordern, z.B. das „Bierkrüge-Experiment“ zur Feststellung von Schädelbrüchen. Ein Schädel bricht in der Regel, wenn ein neuer Bierkrug auf diesen geschlagen wird. Warum gibt es aber bei Wirtshausprügeleien nicht regelmäßig Schwerverletzte oder Tote? Gebrauchte Bierkrüge, nach mehrmaligem Spülen, weisen eine veränderte Glasstruktur auf. Der Schädel bricht nicht.
Oder der Fall eines dubiosen Fenstersturzes: Unglück oder Tötung? Im Zivilprozess wird der Klage der Witwe des toten Ehemannes auf Schadenersatz stattgegeben, weil eine Fensterbrüstung fehlte. Eine Ortsbegehung und anschließende Berechnung der Sturzweise hatten zuvor ergeben, dass der Mann gestolpert war und beim Fallen nach hinten und wegen der fehlenden Brüstung aus dem Fenster gestürzt war. Der Rechtsmediziner erstellt die Gutachten, der Richter entscheidet über die Schuld.
Die Schüler erfuhren einiges Wissenswertes über die Methoden der Rechtsmedizin: Untersuchung von Einschusslöchern im Kopf mittels CT (VIRTOPSY), die Metamorphose von Maden zur genaueren Bestimmung des Todeszeitpunkts (Entomologie), Rekonstruktion von Gesichtern durch Modellköpfe und Computergrafik, Rekonstruktion von Unfällen (Biomechanik), Identifizierung von Verwandtschaft durch von Frauen vererbte mitochondriale DNA (so lässt sich die Verwandtschaft zwischen Menschen bis zu 5.000 Jahre zurück verfolgen), Isotopenbestimmung in Knochen (der Mord ist schon vor 100 Jahre erfolgt), Sequenzanalyse einer Blutspur (heute reicht schon eine Blutzelle aus, um Übereinstimmungen an Genorten zu ermitteln). So muss der Tod beim Zahnarzt nicht ein Mordfall sein. Zwar verursacht das Gift der Kegelschnecke einen plötzlichen Herztod, aber auch ein Gendefekt am Herzen kann tödliches Kammerflimmern auslösen. Natürlich gibt es auch besonders knifflige Fälle, vor allem wenn es sich um eine sogenannte „spurenarme Tötung“ handelt.
Am Ende des kurzweiligen Vortrags stellt Prof. Bratzke fest: Die Forschung geht weiter – es bleibt spannend. Und der gibt den Schülern noch eine Warnung mit auf den Weg: Keine Experimente mit (alten und neuen) Drogen.